Das Leben des Landfahrers ist schön. Gemütlich tuckern wir in langsamer Geschwindigkeit, mehr wäre mit unserem "Schneggsche" in dieser bergigen Landschaft auch nicht möglich, durch die schöne Bergwelt nördlich der Hauptroute der Seidenstraße. Das heutige Ziel sind die Sinterterrassen Badab-e-Surt. Die Augen schweifen umher, genießen den Anblick der farbigen Berge. Nur ab und an schweift der Blick auf die Temperaturanzeige des LKW, bewegt sich die Nadel doch sehr dicht am roten Bereich. Unser "Schneggsche" muss viel arbeiten um die über 8 Tonnen Reisegewicht hier die Berge hoch zu schleppen. Die Sorgenfalten werden tiefer, als die Nadel sich dann engültig im roten Bereich festsetzt, kein Wunder bei über 30° Außentemperatur trotz mehr als 2300m Höhe. Mal wieder den Blick über die Landschaft schweifen lassen. Dann reißt uns ein gemeines, lautes, platzendes Geräusch zurück in die Realität. Mein erster Gedanke: Ein Schlauch des Kühlsystems ist geplatzt. Doch wieso steht der Druckanzeiger des einen Bremskreises (LKWs haben Druckluftbremsen) auf Null!?!?! Als ich Anhalten will und dazu die Bremse betätige, passiert nicht wirklich viel.
Das corpus delicti. Zum Glück war es nichts Schlimmeres.
Das Wort "Bremse" ist bei diesen alten LKWs sowieso eine unverschämte Übertreibung. Die Trommelbremsen brauchen ewig, um so ein 8-Tonnen-Gefährt zum Halten zu bringen. Einzig die Firma Deutz, die Älteren können sich vielleicht an diese ehemalige LKWs erinnern, waren ehrlicher. In deren Bedienungshandbüchern taucht nicht einmal das Wort "Bremse" auf, es wird immer von einer "Verzögerungseinrichtung" gesprochen...
Aber zurück zu unserer Situation. Irgendwas im Bremssystem ist auseinander geflogen. Na toll, dass Ganze im Nirgendwo. Zurück zur nächsten Stadt sind es rund 100km, zu den Sinterterrassen noch 80, von dort aus noch mal 100km zur nächsten Stadt. Zunächst suchen wir am Straßenrand nach einem offensichtlichen Defekt, finden jedoch nichts. In meiner bekannt liebenswürdigen Art gelingt es mir, die beste Ehefrau von allen zu überreden, dass wir zu den Sinterterrassen weiterfahren. Bremsen sind sowieso überbewertet und hier in den Bergen trete ich oft das Gaspedal auf das Bodenblech und trotzdem könnte uns ein trainierter Senior mit dem Rollator überholen. Ich höre mich Lobeshymnen auf die Autoingnieure singen, die den Fahrzeugen zwei Bremskreise spendiert haben. Damit bleibt bei Ausfall eines ja noch die immense Bremsfähigkeit der anderen Achse erhalten. Außerdem könne ich bei Gefahr ja auch noch die Handbremse ziehen, die ohne Druckluft auskommt. Und Berg runter kann ich auch die üppige Bremsleistung des Motors nutzen. Also alles ist gut.
In Gedanken bin ich beim Fotografieren der Sinterterrassen im Abendlicht (auch wenn sich später herausstellen sollte, dass das Morgenlicht viel besser ist!). Heike bleibt skeptisch und fühlt sich unwohl, gibt meinem Charme jedoch nach. Im Prinzip läuft auf den 80km auch alles glatt, nur als einmal hinter einer Kurve ein PKW vom Standstreifen losfährt und ganz langsam tuckert, habe ich nach einem Anker gesucht, den ich gerne als Unterstützung aus dem Fenster geworfen hätte, nachdem ich mit meinen wohlgenährten 100 Kilogramm auf dem Bremspedal stand.
Die Gedanken schwirrten natürlich um mögliche Fehlerursachen: Es könnte im einfachsten Fall ein geplatzter Schlauch oder eine abgeflogende Verschraubung, schlimmstenfalls jedoch ein defektes Bremsventil oder gar ein Bremszylinder sein. Sowas wäre hier nicht aufzutreiben (leider haben wir keinen Mercedes), sondern den müsste ich wohl aus Deutschland schicken lassen. Aber wohin und in welcher Zeit. Sowas könnte einem glatt die ganze Reise versauen...
An den Sinterterrassen angekommen erstmals Fotos in Abendlicht gemacht und abends noch die Dokumentation des Bremssystems gewälzt um mögliche Fehlerquellen zu lokalisieren. Da war ich schon ziemlich optimistisch, dass es kein Bremszylinder sein konnte.
Im ersten Morgenlicht wieder fotografiert, dann ans Werk, um hoffentlich einen einfach zu reparierenden Fehler zu finden. Und siehe da, nach etwas Suchen findet sich in einem Strang aus mehreren Luftschläuchen einer, der geplatzt ist. Also frisch ans Werk.
Hier wird schwer gearbeitet.
Zwischendurch wird uns von anderen Besuchern Tee gebracht. Nachdem wir fertig sind, stehen schon andere mit Kebabspieß hinter uns und laden uns zum Mittagessen ein.
Nach der Reparatur Lunch mit freundlichen Iranern.
Leider hat der geplatzte Schlauch eine Dimension, für die ich kein brauchbares Reparaturmaterial dabei habe. Doch mit einer Sammlung aus Einzelteilen aus unserem Bestand und denen unserer Freunde Andrea und Achim, die wir hier wieder getroffen haben, lässt sich ein Provisorium basteln. Dieses wird es uns ermöglichen, mit funktionierender Bremse in die nächste Stadt zu kommen, um dort passendes Material aufzutreiben.
Und hier beginnt wieder einmal eine wunderbare Geschichte...
In Damghan angekommen, machen wir uns auf die Suche nach einer LKW-Werkstatt. Wir haben schlechte Karten, schließlich ist Freitagnachmittag (also der muslimische "Sonntag"). Fast alle Läden haben geschlossen. Wir tuckern durch die Stadt, fragen an einer PKW-Werkstatt, die offen ist, aber die haben natürlich nichts Passendes.
Wir tuckern weiter und dann mal wieder typisch Iran: Ein PKW fährt neben uns. "Can i help you?" Der Fahrer hat aus unserer langsamen Fortbewegung geschlossen, dass wir etwas suchen. Und er kann ein paar Worte englisch. Prima. Ich erkläre ihm, was wir suchen, ihm ist aber nicht klar, das LKWs Luftbremsen haben. Wir sollen kurz warten, er fährt zu einer Werkstatt und lässt sich das erklären. Ein paar Minuten später ist Reza wieder zurück mit der Adresse eines Autoteilegeschäftes. Wir sollen ihm nachfahren.
Er fährt mit eingeschalteter Warnblinkanlage vor uns her. Zum ersten Mal seit mehr als einer Woche im Iran, sehe ich ein blinkendes iranisches Auto! Im Laden angekommen, erklärt er dem Besitzer, der nur Farsi spricht, unser Problem.
Leider hat der kein Kunststoffrohr in der richtigen Dimension, aber er fängt sofort mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln an, etwas zu bauen. Reza zieht derweil los, um trotzdem in anderen Geschäften nach dem richtigen Rohr zu suchen. Die Reparatur geht jedoch bereits voran. Wir füllen auch gleich noch Öl auf und ich möchte noch ein paar mir fehlende Ersatzteile mitnehmen. Alles kein Problem, ich soll in seinem Laden suchen.
Ich frage noch nach einem Schraubstock, da uns der Dorn eines Stauklappen-Scharniers gebrochen ist und dieser im Scharnier feststeckt. Um ihn rauszuschlagen, müsse ich das Scharnier aber einspannen. Der Ladenbesitzer macht sich gleich selbst ans Werk und erledigt auch das, so dass wir den abgebrochenen Bolzen durch ein Stück Gewindestab ersetzen können. Unser neuer Freund Reza bleibt die ganze Zeit dabei und dolmetscht.
Als alles fertig ist, geht es ans Bezahlen und der Ladenbesitzer will nur einen sehr bescheidenen Betrag für die ganze Geschichte einschließlich der Ersatzteile. Ein zusätzliches Trinkgeld lehnt er ab. Willkommen im Iran.
Reza fragt, nach unseren Plänen. Ich erkläre, dass wir uns heute abend und morgen früh noch die Sehenswürdigkeiten und den Bazar der Stadt anschauen wollen und dann zu einer rund 500km langen Wüstendurchquerung aufmachen wollen. Ich frage noch nach einem guten Stellplatz für die Nacht, möglichst fussläufig von Bazar und Moschee. Kein Problem. Er fährt wieder mit Warnblinkanlage vor uns her. An einem Stadtpark macht er halt. Hier können wir stehen.
Ich will mich eigentlich verabschieden und bedanken. Aber weit gefehlt. Er bietet sich als Führer durch die Stadt an. Wir besuchen einen heiligen Schrein, er sorgt dafür, dass wir auch hinein können. Ebenso bei einer Koranschule und der Freitagsmoschee. Langsam wird es dunkel, wir wollen zum Auto zurück. Kein Problem, morgen früh kommt er wieder und führt uns noch zur Tarikhaneh-Moschee, der ältesten erhaltenen Moschee im Iran. Die stand sowieso auf unserem Programm. Willkommen im Iran.
Morgens ist Reza wieder da und wir besuchen die alte Moschee und den Bazar. Außerdem fährt er noch mit mir durch die halbe Stadt, um einen Ventilator aufzutreiben. Diesel und Wasser brauchen wir auch noch. Alles kein Problem. Ach so, er hat sich heute wegen uns bei der Arbeit freigenommen. Willkommen im Iran.
Der gute Engel Reza.
Reza, thank you again for your great help. It was a great pleasure to meet you.