Mit Freude starten wir von Duschanbe Richtung Osten. Wir wollen die Nordstrecke zum Pamir nehmen, die "alte" Strecke. Es gibt auch eine besser ausgebaute Südstrecke, jedoch verspricht die Nordstrecke schönere Landschaften und uriges Gelände. Etwas unklar ist für uns, ob die Strecke fahrbar ist, vor allem mit einem LKW. Hier gibt sich der Reiseführer (und auch manche Reiseberichte) etwas unklar. Zum einen geht es an der größten Baustelle Tadschikistans vorbei, einem Stausee, der ein ganzes Tal und die darin befindliche Straße überfluten soll. Laut unserem Reiseführer wäre mit dem Beginn der Flutung ab Anfang 2016 zu rechnen. Außerdem findet man immer wieder Fotos von kleinen Hängebrücken, die nur für PKW geeignet sind (auch in unserem Reiseführer). Doch hier können wir Entwarnung geben. Vom Stausee ist noch nichts zu sehen und es wird sicher eine Umfahrung geben (man sieht schon eine angefangene Piste). Schließlich leben in den Tälern oberhalb des künftigen Sees fast 300.000 Menschen und es gibt keinen andern Zugang zu diesen Tälern. Und was die Hängebrücken angeht: Leider neigen viele Reiseberichte zu Übertreibungen. Man muss wohl auf seine besonderen bestandenen Abenteuer hinweisen. Das haben wir auch in der Vergangenheit leider schon häufig beobachten müssen. Wir versuchen übrigens der Versuchung, uns als tolle Abenteurer darzustellen, zu wiederstehen und vermeiden jede Übertreibung. Wir hoffen, dass uns das gelingt... Zurück zu den Hängebrücken. Diese kleinen Brücken gibt es wirklich, aber keine davon an der Hauptstrecke. Sondern diese Brücken dienen dazu, Dörfer, die auf der anderen Seite des Flusses liegen, anzubinden. Die "schwächste" Brücke, über die man muss, weisst 15to aus. Wobei die deutlich stabiler ausschaut und da alle anderen Brücken für 30to ausgelegt sind, macht eine dazwischen mit weniger, wenig Sinn. Ich denke, auch die wird 30to tragen.
Immer wieder werden Brücken zu den Dörfern weggeschwemmt und oftmals "lohnt" es sich nicht, neue zu bauen. Zumindest sehen das wohl die Entscheidungsträger so. So findet man etliche Dörfer, die eigentlich nicht mehr zu erreichen sind. Die Bewohner helfen sich mit einfachen Mitteln. Es werden Stahlseile über den Fluss gespannt und mit Hilfe eines Korbes kommen Mensch und Material auf die andere Seite. Die Körbe müssen von Hand gezogen werden (an einem zusätzlichen Seil) und verbaut wird alles, was übrig bleibt, z. B. eine alte LKW-Achse...
Es geht höher und höher und bald kommen wir zur "Grenze" zur teilautonomen Republik Gorno-Badakhshan (GBAO). Das ganze Pamirgebiet gehört zu diesem autonomen Bereich. Ein steter Zankapfel in Tadschikistan. Hier tobte der Bürgerkrieg der 1990er Jahre am längsten und selbst nach dem Jahr 2000 gab es immer wieder Zusammenstöße zwischen den Bewohnern und der "Staatsmacht". Zum letzten Mal im Jahr 2012, als die Hauptstadt der teilautonomen Republik, Khorough, von Regierungstruppen besetzt wurde. Für die Reise in diesen autonomen Bereich ist eine gesonderte Genehmigung erforderlich, die wir bei der Beantragung des Visums gleich mit angefordert hatten.
Kurz vor der "Innengrenze" gabelten wir einen jungen Ukrainer auf, der mit Rucksack unterwegs war. Seit 11 Monaten wandert und trampt er "um die Welt", zunächst in Europa, über den Balkan, durch die Türkei, in den Iran. Weil ihm dort ein Visum für Turkmenistan verweigert wurde (was häufig passiert), hat er sich kurzerhand ein Visum für Afghanistan besorgt und ist durch Afghanistan nach Usbekistan gereist. Davon 1000km in öffentlichen Bussen, in afghanischer Kleidung und möglichst ohne zu sprechen. Chapeau. Wir nehmen ihn im Auto mit, wenn das auch für Heike, die auf unserer Kiste zwischen den Sitzen Platz nimmt, sehr unbequem ist. Er passiert mit uns auch die Grenze ins GBAO-Gebiet, obwohl ihm die erforderliche Genehmigung fehlt. Aber er schafft auch das (allerdings brauchen Ukrainer für Tadschikistan kein Visum, vielleicht braucht er auch deswegen die Genehmigung nicht).
Nach dem Schreck mit dem Minenfeld, fahren wir dann doch noch etwas weiter abwärts um uns einen Schlafplatz abseits der Piste zu suchen. Wir kommen allerdings nicht weit, denn nach wenigen Kilometern werden wir von Hirten angehalten und zum Tee eingeladen. Natürlich bleibt es nicht beim Tee, sie tischen uns das Wenige, was sie haben, auf: selbstgemachter sauerer Joghurt, Käse, ein paar Früchte, schließlich zaubern sie auch noch eine Wassermelone auf die Decke. Wir können uns nur wiederholen: Die Gastfreundschaft in Zentralasien ist nicht zu beschreiben.
Naja. Und dann passiert es mal wieder... Bei einem Abstecher in ein kleines Seitental kommen wir in ein Dorf. Natürlich sind wir gleich die Hauptattraktion, schnell sind mehr als zwei Dutzend Menschen und Kinder zusammen. Lustigerweise sehen wir das Auto einer NGO-Organisation, das wir bereits zwei Tage vorher getroffen haben. Der Fahrer ist beim Auto, die junge Dame, die Sozialarbeit macht, ist im Dorf unterwegs. Wir treffen sie später bei einer Familie und werden natürlich gleich gebeten Platz zu nehmen. Und wie es hier so üblich ist, schaffen die Frauen des Hauses mehr und mehr Speisen herbei: Brot, Käse, Joghurt, Aprikosen, Kirschen, Gebäck. Es nimmt kein Ende. Nur mit entschiedenem Nein, können wir verhindern, dass der Hausherr eines seiner 10 Hühner schlachtet und für uns zubereitet. Nach einiger Diskussion gibt er auf und das Hühnchen ist gerettet. Nicht das ich was gegen geschlachtete Hühner hätte, aber die Menschen hier brauchen ihre wenigen Nahrungsmittel doch dringender als wir. Die NGO-Mitarbeiterin dolmescht die ganze Zeit und so können wir einiges erfahren. Nach kurzer Zeit steht ein älterer Mann vor uns und sagt: "Soll ich nur guten Tag sagen oder darf ich auch die Hand geben?" Verdutzt schauen wir drein. Er nimmt Platz und es beginnt ein interessantes Gespräch. Er ist der ehemalige Deutschlehrer des Dorfes. In der Tat wurde hier in Sowjet-Zeiten in der Mittelstufe Deutsch unterrichtet. Er freut sich, nach vielen Jahren endlich mal wieder diese Sprache zu sprechen. Natürlich fehlen ab und an ein paar Worte, aber das macht nichts aus. Es ist eine schöne Begegnung, sowohl für uns, als auch für ihn.
Natürlich bietet die Familie an, dass wir auch in ihrem Haus übernachten sollen. Wir möchten aber nicht so viele Umstände machen und bitten um Verständnis, dass wir in unserem Auto übernachten möchten. Wir fragen nach einem Stellplatz hier beim Dorf. Der Deutschlehrer weiß ein schönes Plätzchen und setzt einen jungen Mann zu uns ins Auto, der uns den Platz zeigen soll. An einem seitlichen Wasserzufluss, geht es einen schmalen Pfad hinauf zu einem wirklich schönen Platz. Doch wir finden, dass die Zufahrt für unser Auto zu klein ist. Von der Breite passt es gerade so, aber die Höhe ist das Problem. Wir würden einer Familie zwei Äste von zwei Obstbäumen abreisen, wenn wir da durchfahren. Alles kein Problem sagen die Anwohner, aber wir möchten das wirklich nicht. Also lieber ein anderer Platz. Okay, direkt nach dem Dorf hat man einen provisorischen Hubschrauberlandeplatz gebaut, weil in der Tat einen Tag vor uns der große Präsident Tadschikistans dieses Dorf besucht hat. Am Flußufer wurden Steine ausgelegt und mit weißer Farbe markiert. Der Platz ist wie geschaffen für uns. Also schlafen wir auf dem Hubschrauberlandeplatz des Präsidenten...