Man kennt das ja: "Wer nicht hören will, muss fühlen". Beim Fahren abseits befestigter Straßen ist es weniger das Hören (wäre bei dem Geratter und Gerappel eh zwecklos), sondern das Schauen. Will meinen, dass der Fahrer vor schwierigen Passagen anhalten sollte und sich zunächst zu Fuß ein Bild machen sollte, ob die Stelle passierbar sei. Soweit die Theorie. In der Praxis wird man das bei hunderten von Kilometern mit vielen, vielen Stellen, die man zunächst erkunden sollte, schnell leid. "Wird schon gehen" wird dann schnell zum Standardsatz. Wir waren schon rund 100km auf der Piste im Naturreservat Zorkul unterwegs und bisher war alles gut gegangen. Die in der Karte eingezeichnete Piste verschwand plötzlich, aber es gab eine gut sichtbare Fahrspur, die in die gleiche Richtung führte. Also folgten wir dieser ein paar Kilometer. Dann begannen in der Hochebene die ersten Wasserläufe, manche ausgetrocknet, andere wasserführend. Die ersten wurden auch mit Bravour genommen. Dann ging es ins nächste Bachbett rein. Und von dort aus war nicht mehr wirklich eine Spur zu erkennen. Also Auto auf einer Kiesbank abgestellt und mal zu Fuß weiter. Schnell wurde klar, dass es hier für einen 8to-LKW kein Durchkommen gab. Es folgten mehrere Wasserläufe hintereinander, getrennt durch morastische Grasflächen, eine Spur war nicht mehr zu erkennen. Also rumdrehen und einen anderen Weg suchen. Soweit die Theorie...
In der Praxis klappte das Wenden auf der Kiesbank noch erstaunlich gut. Doch bei der Ausfahrt aus dem Bachbett sackten die Hinterräder im Schlamm ein und es ging nicht mehr vorwärts. Schei...
Wir hören häufig von Leuten, die unser Auto sehen: "Oh, damit kann man ja überall hinfahren." Aber das stimmt eben nur fast. Der große Feind des Allrad-LKW-Fahrers ist weicher Untergrund. Die vielen Tonnen Gewicht, in unserem Fall reisefertig etwa derer 8,5 davon, drücken in weichem Untergrund unweigerlich nach unten. In Wirklichkeit haben viele Fernreisemobile auf Allrad-LKW-Basis auch nicht wirklich Allradantrieb. Unserer eigentlich auch nicht. Wieso? Nun, in aller Regel ist bei diesen Fahrzeugen die Achslast der Hinterachse deutlich höher, als die der Vorderachse (sprich das Auto ist hinten schwerer als vorne). Bei unserem Schneggsche liegt das Verhältnis etwa 3,2to vorne zu 5,3to hinten. Geht es nun bergauf, wandert noch mehr Gewicht auf die Hinterachse und die Vorderachse wird weiter entlastet. Dadurch fehlt der Druck auf den Boden und die vorderen Räder drehen schnell durch. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sobald die Hinterräder durchdrehen, auch die Vorderräder durchdrehen. Und genauso war es auch hier wieder. Und wir haben für Schlamm die falschen Reifen. Das wissen wir, die Reifenwahl ist einer der vielen Kompromisse, die man beim Bau eines solchen Fahrzeuges eingehen muss.
Naja, dann ans Werk. Bergematerial haben wir ja reichlich dabei. Wäre doch gelacht, wenn wir hier nicht rauskämen... Dachten wir. Schnell waren Wagenheber, Hebekissen, Unterlegbretter und Sandbleche ausgepackt und mehrere Versuche gestartet. Wir versuchen es auch mit unserer tollen Seilwinde. Aber wie immer, wenn man die Winde braucht, ist keine Möglichkeit, das Seil zu befestigen. Bäume gibt es hier nicht. In erreichbarer Entfernung schaut ein Felsblock aus der Erde. Wir buddeln rundherum frei, damit wir den Bergegurt umlegen können ohne dass dieser abrutscht. Es sieht auch zunächst aus, als würde es klappen, aber dann zieht die Winde den Fels aus dem Boden, statt das Auto aus dem Sumpf. Und mit jedem Versuch sackt die Hinterachse tiefer in den Morast. Gegen Abend lag dann die Hinterachse komplett auf und das hintere Differential steckte bereits zur Hälfte im weichen Boden. Außerdem hatten sich die hinteren Sandbleche unter den Tanks verkeilt. Vorwärts geht nicht und rückwärts auch nicht. Freundlicherweise stieg das Wasser im Bachbett immer mehr an, ein normales Verhalten bei Bachläufen, die aus schneebedeckten Bergen kommen. Tagsüber schmilzt die Sonne den Schnee und das Schmelzwasser macht sich auf den Weg zu Tal. Abends und zu Beginn der Nacht führen die Bäche dann am meisten Wasser. Nachts schmilzt weniger Schnee und so geht gegen Morgen der Wasserstand wieder zurück. Das konnten wir nun eigentlich gar nicht gebrauchen.
Kurz vor Anbruch der Dunkelheit stellten wir unsere Bemühungen ein. Wir dachten darüber nach, Hilfe zu holen. Aber es kam - wie immer - alles zusammen. Bis zum Mittag waren wir noch mit unseren Freunden Andrea und Achim unterwegs. Dann kehrten diese um, da Andrea Probleme mit der Höhe bekam. Mit deren LKW hätte man unseren einfach herausziehen können. Handyempfang gibt es in dieser gottverlassenen Gegend natürlich nicht. Aber wir haben ja extra ein Satellitentelefon angeschafft, genau für solche Zwecke. Doch wenn es läuft, dann läuft es. Oder eben nicht. Das Scheißding will sich einfach nicht ins Netz einbuchen. Rund eine Stunde versuche ich das am Abend. Nix geht. Andrea und Achim wären ja noch nicht weit entfernt und würden sicher umkehren und uns helfen. Aber ich kann sie nicht anrufen. Also zunächst mal die Nacht im schiefstehenden Auto verbringen. Auch nicht so einfach, aber an Schlaf ist bei mir sowieso nicht zu denken. Immer wieder gehe ich die Optionen durch, die wir noch haben, um das Auto freizubekommen. Oder was tun, wenn das alles nicht klappt. Wir haben zwar mit Andrea und Achim verabredet, dass jeder jeden Abend ab 19 Uhr eine halbe Stunde das Satphone einschaltet, falls sich einer melden will, aber unseres bucht sich ja nicht ins Netz ein und so können wir auch nicht anrufen.
In der Nacht treffe ich die Entscheidung, dass es nur rückwärts geht. Zurück ins Bachbett. Aber die Sandbleche sind ja unter den Tanks verkeilt. Also müssen diese mit der Flex abgeschnitten werden. Morgens um 7 Uhr beginnen wir wieder mit der Arbeit. Bei 0° Außentemperatur. Achso, ich vergaß zu erwähnen, dass wir uns diesen Spaß in 4250m Meereshöhe gönnen. Schaufeln, Steine und Wagenheber schleppen und alles weitere wird zu Qual in dieser dünnen Luft.
Wir hatten am Vortag schon ein paar Steine unter die hinteren Räder geschafft, nun bauen wir aus weiteren Steinen kleine Rampen hinter den Rädern. Ich setze mich ins Auto und versuche rückwärts mit den Hinterrädern drauf zu fahren. Das klappt, dass Gewicht des vorne hochstehenden Fahrzeugs hilft dabei. Dann füllen wir die Löcher, die die Hinterräder gegraben haben mit weiteren Steinen, damit die Vorderräder, die noch oberhalb stehen, nicht in die Löcher einsinken. Mit Gottvertrauen und Schwung fahre ich rückwärts ins Bachbett. Das ist schon mal geschafft. Wir suchen uns einen anderen Weg aus dem Bachbett, einen der "besser aussieht" und in der Tat finden wir eine Stelle, an der der Grasrand fester aussieht. Gas, Schwung und Los. Und es klappt. Wir stehen oben und sind aus dem Schlamassel raus.
Zunächst mal die Schäden begutachten: zwei abgeschnittene Sandbleche, die Bleche unter den beiden Tanks sind verbogen, die Tankhalterungen verzogen. Ein Schmutzfänger ist abgerissen. Naja, geht ja noch. Wir machen uns daran, alles Material zu säubern und zu verstauen. Allein die Sandbleche aus dem Morast zu kriegen, ist eine Mammutaufgabe. Diese sind weit in den Schlamm gedrückt, von Hand oder mit einer Stange gar nicht zu heben. Schließlich ziehe ich sie mit dem Auto und einem Bergegurt aus dem Morast. Gut drei Stunden sind wir nur mit dem Aufräumen beschäftigt. Wir müssen auch noch eine Halterung bauen, um die gekürzten Sandbleche am Auto zu befestigen. Für die vorhandenen Halterung sind sie nun zu kurz. Glücklicherweise haben wir noch von den iranischen Reparaturblechen übrig. Der geneigte Leser wird sich vielleicht an einen früheren Bericht dieser Reise erinnern: Freundlicherweise stellt der iranische Staat kostenlos Reparaturbleche am Straßenrand bereit, die bis zu ihrer endgültigen Verwendung als Straßenschilder getarnt sind.
Gegen 13 Uhr sind wir fertig und können wieder los. Wir haben bereits nachts beschlossen, dass wir zurückfahren. Es lägen noch rund 100km durch diese einsame Gegend vor uns und vom Ein- und Ausgraben haben wir erstmal genug. Und ohne funktionierendes Satphone für den Notfall wollen wir es nicht drauf anlegen. Zumal wir nur noch ein paar Tage Visum haben. Also zurück. Kaum sind wir 5km gefahren, kommen uns Andrea und Achim entgegen. Andrea hat sich auf niedrigerer Höhe erholt und sie wollten nun doch die Strecke fahren. Da sie jedoch auf ihrem Kartenmaterial eine andere Piste verzeichnet hatten, hätten sie uns wahrscheinlich nicht gesehen...
Ende gut, alles gut. Aber das kommt davon, wenn man nicht vorher nachschaut. Wenn ich einfach 15m vorher gehalten und die Lage sondiert hätte, hätten wir uns viel Arbeit und Sorgen erspart.
Hätte, hätte, Fahrradkette...